Liebe auf den zweiten Blick (TEIL 1)

“… wie sehr dieses Tier unsere Seele berührt und uns die wichtigsten Lektionen über das Leben gelehrt hat.“

(Zitat aus dem Buch von John Grogan „Marley und ich“)

Im Oktober 2005 veränderte sich mein Leben durch einen Besuch der Reha Care Messe in Düsseldorf schlagartig. Wie auch schon die Jahre zuvor, begleitete mich damals meine Mutter auf dem Rundgang durch die riesigen Messehallen. Wir waren beide mit der Hoffnung in den Tag gestartet, auf der Internationalen Fachmesse für Menschen mit Behinderung, dass ein oder andere nützliche Hilfsmittel zu erwerben, das den Alltag einer Muskelkranken ein wenig erleichtern würde.

Wie gewohnt wurden wir auch diesmal überflutet von den zahlreichen Eindrücken und den verschiedenen Menschen mit den so unterschiedlichen Schicksalen und Handicaps. Während unseres Rundgangs durch die verschiedenen Messehallen kam ich auf einmal ins stocken, als ich mich plötzlich, als einer von zahlreichen Zuschauern, bei einer Vorführung der VITA Assistenzhunde wiederfand. Beeindruckt von diesen wunderschönen Hunden mit ihren bemerkenswerten Fähigkeiten blieb ich stehen und ließ die Vorführung auf mich wirken. Bei den gemeinsamen Demonstrationen von Mensch und Tier konnte ich etwas beobachten, was zum damaligen Zeitpunkt für mich im krassen Gegensatz zueinanderstand: Die Tatsache ein Rollstuhlfahrer und gleichzeitig glücklich zu sein!

In meiner damaligen Situation war ich geprägt von Gefühlen wie Hilflosigkeit, Wut und Trauer über den Verlust meiner Gehfähigkeit und Integrität. Ich assoziierte den Rollstuhl mit Stillstand, Isolation, Einsamkeit und war der Meinung, dass mein Leben aufgehört -, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte. Doch die gehandicapten Menschen, die ich bei VITA sah, bewiesen mir das Gegenteil, denn Sie erfüllten keines meiner Dogmen und Vorurteile. Das Gegenteil war sogar der Fall: die strahlenden Augen der Hundebesitzer versprühten Lebensfreude, Stolz, Vitalität und Zuversicht. Diese Erkenntnis berührte mich damals zutiefst und brachte eine Wende in meinem Denken mit sich!
Das Resümee meines Messetages bestand in diesem besagten Jahr nicht aus aufgestöberten neuartigen Hilfsmitteln, sondern aus dem Gefühl mich in einen Vierbeiner verliebt zu haben und dem Wunsch nach Veränderung in meinem Leben. Für mich stand von diesem Tag an fest, ich wollte einen Assistenzhund haben und meinem Leben eine neue Richtung geben!

Wie gesagt, so getan! Kaum wieder zu Hause, hatte ich auch schon die Bewerbung für VITA Assistenzhunde e.V. fertig. Dann ging alles Schlag auf Schlag… Ich besuchte das Ausbildungszentrum von VITA in Hümmerich, lernte den Verein und die Mitglieder näher kennen und nahm an zahlreichen VITA-Events teil. Nach einigen Gesprächen wurde ein so genanntes „Matching“ für mich organisiert, um festzustellen, welcher VITA Hund zu mir passen könnte. Für mich stand schon relativ früh fest: es sollte möglichst der Golden Retriever Rüde Valentin werden, der mit seinen treuen Augen und seinen bekannten Kuschelattacken jedes Herz zum Schmelzen bringt. Die Ausbildungsleiterin Tatjana Kreidler hatte schon damals eher die schwarze Labradorhündin Emily für mich im Visier, denn Sie ergänzte mit ihrem Wesen und ihren Eigenschaften meine Bedürfnisse besser als Valentin. Mmh, da stand ich nun mit meiner Affinität zu Golden Retrievern und musste mich entscheiden. Doch dann lernte ich Emily besser kennen und schnell war es um mich geschehen. Die kleine schwarze Labradordame mit Ihrem einzigartig weichen Fell brauchte nicht lange, um mich von sich und ihren Qualitäten zu überzeugen.
Somit erfolgte die gemeinsame Entscheidung, Emily und mich zu einem perfekten Team auszubilden! Anfang September 2007 begann dann endlich die Phase der Zusammenführung in Hümmerich. Unser erklärtes Ziel war es, dass Emily die Aufgaben für mich übernimmt, die sie während ihrer Grundausbildung in Hümmerich erlernt hatte, dabei ging es sowohl um die sogenannten Basics, d.h. Gegenstände zu apportieren, Schubladen öffnen, am Rollstuhl laufen, … als auch um speziellere, individuelle Aufgaben, die Emily für mich übernehmen sollte, um mir in Zukunft meinen Alltag zu erleichtern und mir dadurch zu mehr Unabhängigkeit von meinen Mitmenschen zu verhelfen.

Dieses Vorhaben war zunächst einfacher gesagt als getan, denn damit ein VITA-Hund für seinen Partner „arbeitet“, bedarf es nicht nur einer tiefen Bindung, sondern auch eines enormen gegenseitigen Vertrauens, welches nicht einfach über Nacht entsteht oder durch Leckerli „erkauft“ werden kann. Als Laie macht man sich jedoch erst einmal keine Vorstellung davon, dass die Hunde nicht für jeden X-beliebigen Menschen arbeiten und geht somit leicht mit unrealistischen Erwartungen in die Zusammenführung. Ich kam damals mit der Einstellung und Hoffnung nach Hümmerich „mal eben“ innerhalb von ein paar Wochen einen perfekt ausgebildeten Assistenzhund zu bekommen, der mich als seine Partnerin akzeptiert und bedingungslos alles für mich tut. Pustekuchen! Von dieser Vorstellung musste ich mich recht schnell verabschieden, denn wir reden hier nicht von Maschinen, welche man beliebig programmieren kann, sondern von Lebewesen, die ihren eigenen Charakter, Ihre eigenen Gefühle und Empfindungen haben. Somit waren Behutsamkeit, Geduld und Verständnis die ersten Dinge, die ich in Hümmerich lernen musste.

Besonders die ersten Wochen der Zusammenführung waren für mich in vielerlei Hinsicht eine echte Herausforderung: ich kam aus der Großstadt und saß plötzlich auf dem platten Land. Kein Internet, kein Fernsehen, nichts von all dem, was meinen Alltag sonst ausmachte begegnete mir bei VITA. Dazu dauernd andere Leute in einem Haus, welches dafür eigentlich viel zu klein ist. Ich war fast nie allein, hatte kaum Privatsphäre und dass über einen Zeitraum von mehreren Wochen.
Zudem tickten die Uhren bei VITA anders: in meinem Alltag in Köln war mein Tag komplett durchgeplant – das musste auch so sein, denn sonst schaffte ich mein Pensum nicht. In Hümmerich hingegen wurde ich radikal entschleunigt. Das Haus war meistens voll, es fanden anderen Zusammenführungen und Nachbetreuungen parallel statt und ich war mitnichten die Nummer eins. Es fiel mir anfangs sehr schwer mich auf die Gegebenheiten einzulassen und mich für Emily zu öffnen.
Während der Trainingseinheiten war ich oft völlig verkrampft. Ich tat das, was man mir sagte, stand aber gar nicht dahinter. Ich setzte mich unglaublich unter Druck und steckte meine Ziele und Erwartungen viel zu hoch. Diesen Druck und meine innere Zerrissenheit spürte Emily und wich mir daher anfänglich eher aus, als meine Nähe zu suchen. Ich kann die Angst gar nicht beschreiben, die ich damals hatte, dass dieser Hund mich nicht will.

Tatsächlich dauerte es sehr lange, bis ich Emilys Signale verstand und mich für sie öffnen und auf sie einlassen konnte. Ich erinnere mich noch gut an eine anfängliche Trainingssituation, in der ich Emily dazu aufforderte mir die Handschuhe auszuziehen. Sie saugte an den Handschuhen, kaute auf ihnen herum und zog teilweise wie wild daran… Wieder einmal wunderte ich mich, denn ich hatte ja bereits beobachten können, wie problemlos Emily Tatjana Kreidler die Handschuhe auszog. Fragen über Fragen waren in meinem Kopf und zeitweise kamen sogar Selbstzweifel bei mir auf. Mag sie mich nicht? Mache ich irgendetwas falsch? Nichts von alledem war der Grund für Emilys Verhalten, zum damaligen Zeitpunkt war sie einfach nur noch nicht bereit so für mich zu arbeiten, wie ich es gern gehabt hätte. Doch durch die tägliche Zusammenarbeit lernten wir uns gegenseitig immer besser kennen und einzuschätzen. Die permanente positive Bestärkung von Emily durch die Ausbildungsleiterin, z.B. wenn sie meine Nähe suchte oder Dinge für mich apportierte, führte dazu, dass Emily nach und nach immer sicherer wurde und lernte mir zu vertrauen. Irgendwann war das Eis zwischen uns gebrochen und Emily begann auch für mich die Dinge umzusetzen, die sie bereits im Vorfeld erlernt hatte.

Der Weg zu Emily war lang und führte mich zunächst an mir selbst und meinem persönlichen Kampf vorbei. Mehr als einmal stieß ich in der Zeit der Zusammenführung mit Emily an meine psychischen und körperlichen Grenzen und glaubte der Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Doch mit Hilfe von Emily und zahlreichen lieben Menschen habe ich es Stück für Stück geschafft.

In Teil 2 dieser Geschichte erfahrt Ihr, wie es mit Emily und mir nach der Zusammenführung weiterging und wo wir heute, fast 10 Jahre danach, gemeinsam stehen. Also schaut in den nächsten Tagen nochmal vorbei und lest weiter…


	

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